Aktualisiert am 16. November 2021
Seit 2014 bin ich selbstständig. Obwohl ich das nie wollte, denn ich komme aus einer Selbstständigen-Familie und weiß, was das bedeuten kann. Doch dann sind zwei Dinge passiert, die mein Leben auf den Kopf gestellt haben.
Wie alles begann: mein Umzug nach Brüssel
Mein erster Job nach dem Studium brachte mich nach Frankfurt am Main. Frisch getrennt von meinem langjährigen Freund, vom Land in die Stadt, das erste Mal „richtig“ Geld verdienen, rein ins Unbekannte. Alles war großartig und aufregend. Ich knüpfte neue Kontakte, mit denen ich bis heute eng verbunden bin. Eine Zeit nach dem Motto: „Work hard – play harder.“ Ich sehe mich noch bis spät abends mit den Kolleg:innen im Büro über Strategien brüten, danach taffes Workout im Fitnessstudio nebenan, duschen und ab in den Club bis in die frühen Morgenstunden. Damals gab es noch keine After-Work-Parties und vor 23 Uhr war nirgendwo was los. Am nächsten Morgen saß ich dann um 8 Uhr wieder im Büro und der ganze Spaß ging von vorne los.
Nach fünf Jahren wechselte ich den Arbeitgeber – von der Schienenlogistik in die Express-Luftfracht. Einige Jahre und Jobs später erhielt ich ein Angebot, als External Communications Manager in die Firmenzentrale nach Brüssel zu wechseln. Ich fackelte nicht lange – mein Freund lebte damals in Amsterdam – und zog Anfang 2009 endlich in eine richtige Großstadt. Was zunächst wirklich aufregend klang, entpuppte sich schnell als Mogelpackung. Brüssel empfand ich als bieder, dreckig, angepasst und ich fühlte mich völlig fehl am Platz. Viel mehr als Arbeit gab es nicht: keine Freunde, keine Familie und die Wochenenden verbrachte ich in Amsterdam.
So nach und nach fasste ich trotzdem Fuß, baute mir ein berufliches Netzwerk auf und arbeitete an wirklich spannenden Projekten: große Pressekonferenzen, Standorteröffnungen oder Panda-Transporte. Ich reiste regelmäßig nach Indien, England, Frankreich, Deutschland, die USA…. Da mein Aufgabengebiet auch die Krisenkommunikation umfasste, arbeitete ich oft Tag und Nacht an irgendwelchen Statements und Protokollen, saß in Telefonkonferenzen mit Kolleg:innen aus der ganzen Welt. Ich war für PR-Agenturen in mehr als zehn Ländern verantwortlich und ärgerte mich regelmäßig über schlechte Qualität zu horrenden Preisen. Damals keimten erstmals Gedanken zur Selbstständigkeit auf. Ich wusste: Das geht besser und günstiger.
Neben meiner Arbeit, meinem Freund, mit dem ich mittlerweile in der gemeinsamen Wohnung in Brüssel lebte sowie regelmäßigem Sport passierte in meinem Leben nicht viel. Mein Job war anstrengend und fordernd. Und ich war froh, in meiner Kollegin Liz aus der internen Kommunikation eine Verbündete gefunden zu haben. Wir tauschten uns aus, wir hatten Vertrauen zueinander und wussten, dass wir uns immer aufeinander verlassen können.
Schlüsselerlebnis #1: auf einmal wieder auf mich selbst gestellt
Und dann der Schock: Kurz vor Weihnachten 2011 teilt mir Liz mit, dass sie ein Jobangebot in einem anderen Unternehmen annehmen werde. Das war wie ein Schlag ins Gesicht für mich und ich wusste zunächst nicht, wie ich das überleben sollte. Trotzdem freute ich mich. Denn für Liz war es ein großartiger Karriereschritt. Und ich hatte endlich eine Freundin in Belgien außerhalb der Firma.
Mein Freund hatte immer viel Verständnis für meine Arbeitszeiten, selbst wenn nachts das Telefon klingelte. Das brachte mein Job leider mit sich. Bei einem „nachtaktiven“ Unternehmen und meiner Verantwortung für eine Region in unterschiedlichen Zeitzonen, traten Probleme meist außerhalb der gewohnten Arbeitszeiten auf. Und das alles musste ich ab sofort also alleine bewältigen. Ohne mich mit der so lieb gewonnenen Kollegin auszutauschen. Oder ihren Rat einzuholen. Puh – da stand ich vor einem fast unbezwingbaren Berg.
Zeitgleich träumten mein Freund und ich immer mal wieder von einer längeren Auszeit. Die paar Wochen Urlaub im Jahr waren zu kurz für unsere Unternehmungen: meist waren wir irgendwo in Europa mit dem Fahrrad unterwegs. In der ersten Woche grübelte ich über irgendwelchen Projekten, die mich nicht losließen. Erst in der zweiten Woche entspannte ich mich, um in der dritten Woche – wenn’s denn eine dritte gab – das Kopfkino wieder einzuschalten.
Schlüsselerlebnis #2: ein verstauchter Zeh und eine Entscheidung
Mittlerweile arbeitete ich bereits zwei Monate ohne Lieblingskollegin. Ihre Nachfolgerin kam aus meinem Team – eine tolle Weiterentwicklung für sie, allerdings weit davon entfernt, Liz ersetzen zu können, da ihr einfach die Erfahrung fehlte. Wir arbeiteten gut zusammen, mussten uns aber auch noch finden.
Im März 2012 ging es erst einmal ab in den Urlaub: eine Woche Skifahren in Österreich. Wir hatten uns ein kleines Hotel abseits vom Trubel gebucht. Es schneite fast ununterbrochen und am zweiten Tag stieß ich mir meinen Fuß so extrem in der Sauna, dass ich ihn am nächsten Tag vor lauter Schmerzen nicht mehr in die Schuhe, geschweige denn Skischuhe bekam. Und so hatten wir viel Zeit, uns Gedanken über unsere Zukunft zu machen: Wollen wir wirklich so weitermachen? In einer Stadt leben, die uns nicht wirklich gefällt? In der wir uns nicht wohlfühlen? Sollte unser Leben nur noch aus Arbeit und ab und an mal ein bisschen Sport bestehen?
Zwei Tage später stand fest: Wir kündigen im Mai unsere Jobs und wagen den Sprung ins Ungewisse. Im Juli packten wir unsere Siebensachen, bestellten meinen Papa mit Umzugs-Lkw nach Brüssel und zogen zurück in meine alte Heimat, nach Süddeutschland.
Die Selbstständigkeit lag zu diesem Zeitpunkt noch immer in weiter Ferne. Ich wollte mir um meine berufliche Zukunft noch keine Gedanken machen.
Endlich selbstständig – die ersten Schritte
Im September waren wir soweit: Die Räder gepackt und die Route grob geplant. Wir machten uns auf unsere erste Radreise um die Welt. Unklar war, wie lange wir weg sein würden. Hauptsache weg.
21 Monate fast forward: Nach 36 Stunden Flugzeit betreten wir wieder europäischen Boden. Wir hatten es bis nach Neuseeland geschafft, sind auf drei Kontinenten geradelt. In dieser Zeit ist mir klar geworden, dass ich mich selbstständig machen möchte. Ich hatte mich so an meine Freiheit gewöhnt, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte, in einem Unternehmen zu arbeiten.
Wieder zurück in unserem temporären Zuhause kümmerte ich mich zunächst um die liebe Bürokratie: Umsatzsteuer-ID beantragen, mit dem Steuerberater reden, ein IHK-Gründerseminar belegen, eigenes Laptop und Smartphone kaufen. Nebenbei machte ich mir Gedanken, was ich denn so alles anbieten könnte, nach fast 20 Jahren Marketing- und Kommunikationserfahrung.
Da wir auch künftig weiter reisen wollten, war klar, es musste eine Tätigkeit sein, die ich überall erledigen kann. Also begann ich mit Übersetzungen und Lektoraten. Schnell folgten Textprojekte für interne Mitarbeiterinformationen, Webseiten, Mitarbeitermagazine oder Newsletter. Für den Anfang reichte mir das.
Reisen und Arbeiten – lässt sich das vereinbaren?
Und so war ich ein Jahr später als digitale Radnomadin unterwegs. Mit einem MacBook und Smartphone im Gepäck. Oft konnte ich meine Aufträge abends, nach dem Radeln erledigen oder wir legten für umfangreichere Projekte einen Ruhetag ein. Es kam auch vor, dass wir das Zelt gerade abgebaut hatten, als ein Auftrag reinkam, den ich nicht ablehnen wollte. Also setzte ich mich wieder hinter das Laptop und Johan kümmerte sich um den Rest. Da reagierten wir beide immer flexibel.
Über ein Jahr waren wir unterwegs, im Durchschnitt verdiente ich in etwa 1000 Euro im Monat. Mit diesem Geld kam ich gut aus, denn außer Essen brauchten wir nicht viel zum Leben. Nebenbei bloggte ich regelmäßig, schließlich wollten wir unsere Familien und Freunde auf dem Laufenden halten. Für unsere Sponsoren schrieb ich nebenbei Artikel für Radzeitschriften in Deutschland und den Niederlanden. Dafür bekamen wir alle benötigten Ersatzteile umsonst geliefert: egal, wo wir gerade waren.
Zurück in der Arbeitswelt
Nach unserer zweiten Rückkehr nach Europa machten wir erst einmal Pause. Auf einem Campingplatz. In Italien. Am Strand. Und ich überlegte mir, wie es mit mir und meinem Business weitergehen sollte. Übersetzungen und Texten waren mir auf die Dauer zu langweilig. Ich belegte Online-Kurse, schaute Webinare und arbeitete an meiner Website. Ich übernahm erste größere Projekte und unterstützte Marketing- und Kommunikationsabteilungen in internationalen Unternehmen. Und so entwickelte sich mein Angebot stetig weiter.
Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass ich noch lange nicht angekommen bin. Märkte verändern sich, die Bedarfe meiner Kunden verändern sich. Ich verändere mich. Die Selbstständigkeit möchte ich nicht mehr missen. Es steckt viel Arbeit dahinter und es ist mitnichten immer einfach. Denn um viele Dinge kümmere ich mich heute selbst, die mich früher nicht interessieren mussten. Ich bin Marketing-Abteilung, IT-Spezialistin, Kommunikatorin, Sales-Mitarbeiterin und Buchhalterin. Nach wie vor arbeite ich viel und oft höre ich von Freunden „Du wolltest doch nicht mehr so viel arbeiten!?“. Aber die Arbeit als Selbstständige ist nicht zu vergleichen mit dem Angestellten-Dasein. Bis heute habe ich diesen Schritt nie bereut und freue mich auf alles, was in Zukunft noch kommen mag.
Dieser Blog ist übrigens auf Initiative von Michaela Schächner, Business Mentorin, entstanden. Sie hat die Blogparade „Selbstständig machen“ ins Leben gerufen. Eine tolle Initiative, bei der ich gerne mitgemacht habe.
Das war cool? Dann lies doch hier gleich weiter:
Klasse…. kann ich nur bewundern…
Tolle Sache, viel Erfolg
Toll geschrieben! Authentisch und schlüssig in sich. Herzlichen Glückwunsch!
Soraya Frie
Hi Baerbel
Still sometimes when it comes along I tell friends passionately about the time I looked forward to your next bicycle adventure around the world.
Wish you lots of succes in business doing what you do best write write write.
Take care
Hallo Bärbel,
selbst gerade am großen beruflichen Scheideweg, stieß ich heute auf deinen LinkedIn-Post und wurde neugierig auf deine Homepage. Sehr ansprechend gestaltet, (natürlich, bei deinem background) spannend getextet, wirkt sie außerdem ehrlich und authentisch. Werde mich gleich noch zum Newsletter anmelden, damit der Kontakt erhalten bleibt und so auch immer mal wieder bei dir vorbeischauen. Viel Erfolg zu wünschen scheint mir fast überflüssig, scheint es doch so zu laufen, wie du es dir erwünscht hast. So zumindest der Eindruck eines Außenstehenden. So wünsche ich dir, dass du auch weiterhin die Chance hast und nutzt, deinem Selbst treu zu bleiben.
Liebe Grüße
Manfred von reportageland.de
Hallo Manfred,
vielen Dank für deine nette Rückmeldung, die mich sehr freut. Dir wünsche ich ganz viel Erfolg und hoffe für dich, dass du die für dich richtigen Entscheidungen triffst.
Herzliche Grüße
Bärbel